Das zweite Space Journal, welches ich schreibe. Und ich stelle fest, es ist nicht so einfach, den Anfang zu finden. Wie fängt man einen Artikel an, der Space Journal heißt? Im letzten Artikel, dem ersten Space Journal, habe ich über unsere Entstehung gesprochen. Was hat Frank und mich angetrieben, dieses Unternehmen zu gründen und welche Gedanken haben wir uns vorab gemacht. Das war eine wundervolle Reflexion für mich, denn wir haben eine Menge von dem geschafft, was wir uns vorgenommen haben. Im Rahmen dieser Reflexion ist mir in den vergangenen Wochen eine interessante Erkenntnis gekommen, warum sich space22 heute so richtig anfühlt.
Reaktive Systeme und Feedbackschleifen
In der theoretischen Physik sprechen wir oft von Modellen, um die Welt abzubilden. Betrachtet man modellhaft erfolgreiche natürliche Systeme, etwa einen Wald oder einen Menschen, dann kann man diese Modelle nur abbilden, wenn sie durch Feedbackschleifen dazu befähigt werden, auf ihre eigenen Veränderungen zu reagieren. Nehmen wir den Mensch als Beispiel. Wir spüren Durst, wenn unser Körper Flüssigkeit benötigt. Das ist eine Feedbackschleife vom Inneren des Organismus bis zum Bewusstsein. Der Mensch kann dann mit Flüssigkeitszufuhr reagieren und das Problem beheben. Durch diese Kombination aus Feedback und der Reaktionsfähigkeit entsteht ein System, das sich selbst regulieren kann.
Ich bin davon überzeugt, dass jedes soziale System, das langfristig funktionieren soll, genau diese beiden Fähigkeiten vorweisen muss: eine Feedbackschleife, in der Herausforderungen auffallen können und selbstregulative Werkzeuge, mit deren Hilfe diese Herausforderungen durch Veränderung des Systems gemeistert werden können. Fehlt eine dieser beiden Fähigkeiten, wird sich das System zwangsläufig selbst zerstören, im Falle eines sozialen Systems durch Konflikte zwischen den Menschen und Frust, der dadurch entsteht.
Bei space22 haben wir, ganz ohne über Systemtheorie nachzudenken, genau diese Fähigkeiten von Anfang an mitgedacht.
Unsere Feedbackschleife
Die Feedbackschleife findet auf mehreren Ebenen statt. Zentral ist, dass wir jeden Monat eine unternehmensweite Retrospektive veranstalten, in der Störgefühle offen adressiert werden. Dadurch haben wir ein Instrument in der gesamten Belegschaft, mit dem wir immer wieder in die Reflexion über uns selbst kommen.
Gleichzeitig leben wir eine aktive Feedbackkultur. Jeder von uns gibt und erhält regelmäßig persönliches Feedback. Dadurch ist Reflexion über den Status-quo ein ständiger Prozess, was automatisch dazu führt, dass immer wieder Themen, die Störgefühle verursachen, an die Oberfläche kommen.
Unsere Reaktionsfähigkeit
Das Problembewusstsein ist ein zahnloser Tiger, wenn das System nicht auch in der Lage ist, zu reagieren. Hier haben wir ein zentrales Instrument: Unseren Advise Prozess, mit dem jeder Spacie dazu in die Lage versetzt wird, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen.
Der Advise-Prozess gibt uns als Belegschaft ein Werkzeug an die Hand, auf die Herausforderungen zu reagieren, welche im Rahmen unserer Feedbackschleifen auffallen. Damit kann sich jeder Mensch in space22 ermächtigt fühlen, identifizierten Herausforderungen direkt und mit einem konkreten Vorschlag der Veränderung zu begegnen.
Ein Blick in die Zukunft
Aus meiner Sicht funktionieren diese beiden Säulen aktuell ziemlich gut. Das hat vor allem etwas damit zu tun, dass wir mit zehn Menschen ein vergleichsweise kleines Unternehmen sind. Eine monatliche Retrospektive ist da machbar, sinnvoll und sinnstiftend und im Rahmen des Advise-Prozesses fallen wenige Entscheidungen pro Monat an, sodass alle Spacies die Chance haben, an allen Entscheidungen zu partizipieren.
Ich bin sehr gespannt, wann wir in unserer Unternehmensgröße eine Grenze erreichen, in der uns diese beiden Säulen so nicht mehr tragen. Eine Retrospektive wird ab einer gewissen Zahl an Teilnehmenden schwierig, das ist klar. Der Advise-Prozess kommt aus einer Unternehmenstheorie, die sich nicht auf kleinste Unternehmen beschränkt, daher glaube ich, dass dieses Format sehr lange tragen wird.
Angesichts dessen ist es wichtig, hier Jahr für Jahr achtsam und reflektiert zu sein. Und das sind wir allemal.
Was haben wir zum ersten Mal gemacht?
Im ersten Journal habe ich über mein Mantra gesprochen: „Wir machen das alles zum ersten Mal.“ Und genau dieses Mantra möchte ich in jedem Journal aufgreifen, indem ich über eine Sache schreibe, die wir auf jeden Fall zum ersten Mal gemacht haben.
Der Health Day: Weder Urlaubstag noch Krankmeldung
Im Rahmen des Space Day im Februar hat Julia einen fantastischen Vortrag über zyklusorientiertes Arbeiten gehalten. Im Kern steckt darin, dass alle Menschen eine variable Leistungsfähigkeit haben: Es gibt Tage, an denen man konzentriert ist, es gibt Tage, an denen man extrem fit ist und es gibt Tage, an denen man keine Energie hat. Bei Menschen, die einen weiblichen Zyklus haben, ist dieser Effekt durch die hohe zyklische Variabilität der unterschiedlichen involvierten Hormone am stärksten ausgeprägt.
Gleichzeitig hat unsere moderne Arbeitswelt einen klaren, linearen Leistungsanspruch an die arbeitende Bevölkerung. An Arbeitstagen hat man Leistung zu erbringen und an Wochenenden darf man sich erholen. So richtig passt das eigentlich nicht zusammen und die Effekte können mannigfaltig sein: Burn-out, Depression, Stress und Unzufriedenheit.
Deshalb haben wir, zusätzlich zu Urlaub und Krankmeldung, den Health Day eingeführt. Im Kern ist der Health Day ein präventiver Gesundheitstag, auf den jeder Mensch in der space22 jederzeit Anspruch hat. Typische Gründe, für die so ein Health Day genutzt wird, sind: Kopfschmerzen, Regelschmerzen, eine sich anbahnende Erkältung oder mentale Herausforderungen. Der Health Day soll die Menschen ermutigen, sich eine Auszeit zu nehmen. Um sich zu erholen und eine eventuelle Verschlimmerung zu verhindern. Und ganz ohne den Rechtfertigungsdruck, der mit einer Krankmeldung meistens einhergeht. Durch die Einführung dieses Konzeptes senden wir als Unternehmen eine ganz klare Botschaft an unsere Belegschaft: Wir möchten, dass Du Dir Zeit für Dich und Deine Gesundheit nimmst.
Die Idee hinter dem Health Day ist ganz simpel: Wir alle unterliegen Leistungsschwankungen, ganz losgelöst von sichtbaren Krankheiten. Das klassische System “Urlaub oder Krankmeldung” lässt dafür keinen Raum, denn es kommuniziert sowohl in der Benennung als auch der gelebten Praxis: Wer krank ist, meldet sich krank und wer gesund ist, kann arbeiten. Ein Health Day entstigmatisiert und ermutigt die Belegschaft dazu, sich freizunehmen, wenn es nötig ist. Das Konzept des Health Days macht es einfach, darüber zu sprechen, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Jeder weiß: Wenn sich eine Kollegin oder ein Kollege für einen Health Day entscheidet, dann geht es ihr oder ihm nicht gut. Und dieser Mensch muss sich dann nicht schlecht dafür fühlen, eine Auszeit zu nehmen, ohne richtig sichtbar krank zu sein.
Wir glauben, dass dieses Konzept zu einer gesunden und zufriedeneren Belegschaft führt und das ist ein verdammt guter Grund, es auszuprobieren.
Das war’s!
Das zweite Space Journal ist geschrieben. Mir hat es wahnsinnig viel Freude bereitet, darüber nachzudenken, was wir seit dem letzten Space Journal alles zum ersten Mal gemacht haben. Eine schöne Reflexion.
Ich bin unendlich dankbar, diese Reise mit so vielen tollen Menschen gemeinsam gehen zu dürfen. Und voller Spannung blicke ich darauf, was dieses Jahr noch für aufregende Veränderungen mit sich bringen wird.
Stay Mindful
Jakob 🙏