Vor etwas mehr als einem Jahr, im Januar 2023, hat die space22 GmbH ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen. Ein neues Unternehmen mit einem ungewöhnlichen Ziel startet seine Reise ins Ungewisse.
Ich möchte diesen ersten Geburtstag dazu nutzen, über das vergangene Jahr im Kontext der initialen Ziele zu reflektieren, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen und den offiziellen ersten Eintrag des monatlichen Space Journal hiermit ganz offiziell auf den Weg bringen.
Wie kam es dazu? Und warum?
Ich habe meinen Co-Gründer Frank in der Rolle des Geschäftsführers der Cologne Intelligence kennengelernt. Diese Firma war damals einer der Hauptsponsoren der Think About! Konferenz.
In dieser Zeit und den darauffolgenden Jahren haben wir Kontakt gehalten und sind immer wieder im Austausch über Arbeitswelten und Unternehmenskultur gelandet. Ob nun via Mail, bei einem gemeinsamen Abendessen oder zwischendurch, diese Themen haben uns von Anfang an verbunden und beschäftigt.
Ausschlaggebend war ein Abendessen im April 2022 in Köln, bei dem uns nochmals klar wurde: Viele Menschen in unserem Umfeld sind unzufrieden mit ihrem Arbeitgeber. Obwohl es sich bei den Arbeitgebern um Firmen in der Tech-Branche handelt, die viel Liquidität und hohe Gewinne erwirtschaften, schaffen sie es scheinbar nicht, einen erfüllenden Arbeitsplatz für Menschen zu kreieren.
Diese Frage haben wir uns gestellt. Woran liegt das? Ist es so schwierig, ein Unternehmen für Menschen zu bauen? Haben andere, so wie wir auch, falsche Ansprüche an die Arbeit? Das Ergebnis war aber ziemlich klar: Es gibt nur einen einzigen Weg, um zu verstehen, wie herausfordernd es sein kann, ein Unternehmen aufzubauen, bei dem der Menschen im Mittelpunkt ist. Man muss es machen.
Mit diesen Gedanken trafen wir uns dann Ende Juni 2022 zu einem zweitägigen Workshop in Köln. Die Frage, die es zu klären galt: Wie sähe unsere eigene Company aus?
Letztlich haben wir in diesen zwei Tagen eine Vision und ein Zielbild erarbeitet. Es war uns aber auch klar, die Ideen erst mal zu parken! Denn wir benötigen zur Umsetzung eine Belegschaft und ein Projekt zum Start. Somit haben wir erst mal angefangen, mit Menschen zu sprechen.
Die Vision vor der Gründung
Unsere Vision fängt bei uns selbst an, nicht bei der Arbeit nach außen. Dabei habe ich hier die konzentrierte Essenz der Ideen und Gedanken, die aus unserem zweitägigen Workshop entstanden sind:
- Teilzeit ist eingefordert, nicht bloß toleriert
- Selbstorganisation und Vertrauen ersetzen Bürokratie und Kontrolle
- Remote-First-Company mit regelmäßigen Angeboten für physische Treffen
- Wir bauen die Firma ohne Risikokapital. Nur wenn alle Anteile uns gehören, können wir die Menschen in den Mittelpunkt stellen.
- Transparentes Gehaltsmodell mit Benefits, die echten Mehrwert für die Mitarbeitenden schaffen
Zu der Dienstleistung, also der Geldquelle, mit der wir das Raumschiff starten wollen, haben wir uns am Ende dieser zwei Tage ebenfalls Gedanken gemacht. Auch hier war uns von Anfang an klar: space22 hat ein zentrales Produkt, nämlich den Raum, den es für Mitarbeitende schafft. Die Arbeit an uns selbst, für uns selbst, ist unser Antrieb. Um diesen Raum erschaffen zu können, müssen wir Geld verdienen. Dazu starten wir mit einer Tätigkeit, die wir gut können und schauen dann mal weiter: Beratende Entwicklung durch High Performance Produktteams.
Wir stellen unseren Kunden kleine, crossfunktionale Teams zur Verfügung, die gemeinsam mit den Mitarbeitenden an digitalen Produkten arbeiten. Dabei ist das Mindset unserer Leute: “Wir machen uns überflüssig”. Das heißt, wir streben nach maximalem Wissenstransfer und der Befähigung unseres Kunden, langfristig selbstwirksam am Produkt entwickeln zu können.
Auch zum Namen, der zum Zeitpunkt dieses Workshops bislang nicht feststand, hatten wir uns natürlich Gedanken gemacht. In den Notizen habe ich folgendes Zitat von Frank gefunden:
“Als Firmennamen schwebt mir die ganze Zeit was mit SPACE im Kopf herum. Für mich bedeutet das Raum für etwas Grenzenloses, was Schönes, etwas, was wir selbst erschaffen, halten und nutzen können […]”
Ich denke, mit dem Namen space22 liegen wir ziemlich nah an den Gedanken von damals.
Was haben wir erreicht?
Als ich in diesen Wochen durch die Unterlagen aus dem damaligen Workshop gegangen bin und noch mal verinnerlicht habe, wie unsere Vision damals aussah, dann bin ich ziemlich erstaunt darüber, wie zielgenau wir diesen Punkt getroffen haben.
Fangen wir vielleicht mit den Fakten an. Zum Jahreswechsel hatten wir acht Mitarbeiter:innen und vier Freelancer:innen. Alleine, dass wir so viele Menschen in nur einem Jahr dazu bewegen konnten, sich space22 anzuschließen, ist ein unfassbares Geschenk. Ferner haben wir das erste Geschäftsjahr, also 2023, mit einem sechsstelligen Gewinn beendet. Auch das ist ein wunderbarer Erfolg, den ich mir so niemals erträumt hätte.
Wir haben die Gründung mit eigenen Mitteln bestritten. Daher sind wir schuldenfrei und alle Anteile gehören Frank und mir – das war von Anfang an ein zentrales Ziel und das haben wir erreicht.
Überdies haben wir konsequent an der Teilzeit festgehalten: Alle Mitarbeitenden, auch unsere Freelancer, arbeiten maximal eine Viertagewoche, das steht so in unseren Arbeitsverträgen. Auch haben wir ein Gehaltsmodell gefunden, dass alle angestellten Menschen gleich und vor allem transparent vergütet. Berufseinsteiger:innen bekommen bei space22 ein Jahresfestgehalt von brutto 45.000 EUR, erfahrene Mitarbeiter:innen bekommen brutto 80.000 EUR.
Wenn ich mir das so anschaue, dann macht mich das mächtig stolz, was die Space-Crew in den vergangenen 12 Monaten aufgebaut hat: Ein profitables Unternehmen, welches die Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellen.
Was will ich im Space Journal erzählen?
Ich habe mich, als die Idee dieses Space Journals entstand, lange mit der Frage beschäftigt, wie so ein Artikel aufgebaut sein könnte. Dabei bin ich immer wieder auf ein Mantra gestoßen, welches sich ganz unterbewusst bei mir im vergangenen Jahr gebildet hat: „Wir machen das alles zum ersten Mal.“
Diese Worte sage ich mir immer wieder, wenn Dinge nicht rund laufen oder wir auf Unerwartetes stoßen, denn faktisch ist das genauso wahr, wie es sich liest. Wir machen das zum ersten Mal, eine Firma aufzubauen, mit vielen Angestellten. Wir machen das zum ersten Mal, eine Firma aufzubauen, die Viertagewoche vorgibt. So machen wir alles, was sich hieraus an Aufgaben und Herausforderungen ergibt, faktisch zum ersten Mal.
Mir hilft diese Haltung sehr, denn sie erlaubt uns Fehler. Und letztlich ist das Scheitern beim Versuch etwas zu tun, die wichtigste Handlung in der Entwicklung von so ziemlich allem. Nur durch Fehler lernen wir, was nicht funktioniert. Und nur durch die Bereitschaft, Fehler zu riskieren, entsteht echte Innovation und Veränderung vom Status quo. Auf eine ganz emotionale Weise drückt dieser Satz eines meiner zentralen Gefühle aus, wenn ich an die Arbeit in space22 denke.
Deswegen möchte ich jeden Monat im Space Journal über eine Sache schreiben, die wir in diesem Monat zum ersten Mal gemacht haben: Warum haben wir das getan, wie ist es gelaufen und was haben wir daraus gelernt? In diesem ersten Aufschlag des Journals konzentriere ich mich auf drei Dinge, die aus meiner Sicht absolut erwähnenswert sind.
Was haben wir zum ersten Mal gemacht?
Der Aufbau und die Weiterentwicklung von space22 war von Beginn geprägt durch verrückte Ideen und mutige Entscheidungen. Viele dieser Entscheidungen waren Experimente. Alte gelernte Tatsachen neu denken und dann Dinge zum ersten Mal machen. Es ist eine verdammt große Herausforderung, drei zu identifizieren, die hier Erwähnung finden sollen.
Advice-Prozess für agile Entscheidungsfindung.
Die Einführung des Advice-Prozesses als zentrale Säule des Unternehmens war eine der ersten großen kulturprägenden Entscheidungen unseres jungen Unternehmens. Abgeschaut aus dem Buch Reinventing Organizations, simplifiziert und demokratisiert dieser Prozess Entscheidungsfindung in Unternehmen. Zusammengefasst funktioniert dieser Prozess folgendem Ablauf: Jeder Mensch im Unternehmen darf jede Entscheidung treffen, sofern der Prozess befolgt wird: Dieser beginnt mit einer Entscheidungsvorlage, die aus einer Beschreibung der Situation und einem konkreten Vorschlag für die zu treffende Entscheidung besteht. Im zweiten Schritt müssen alle Menschen, die von der Entscheidung betroffen sind und alle etwaigen Expert:innen zu dem entsprechenden Themenkomplex proaktiv auf die Vorlage hingewiesen werden. Dann soll die Entscheider:in einige Tage Zeit für Diskussionen lassen, wir zielen hier typischerweise auf zwei Wochen. Sind alle Diskussionen erfolgt, verändert, trifft oder verwirft die Person im Anschluss die finale Entscheidung unter Berücksichtigung aller Diskussionen und Einwände nach eigenem Ermessen.
Mit diesem Prozess wurden seit Gründung der Firma insgesamt 35 Entscheidungen aus der Belegschaft initiiert, debattiert und beschlossen. Von kleineren Trivialitäten, wie der Anschaffung neuer Company-Hoodies, bis zu großen strukturellen und arbeitsrechtlich relevanten Themen, wie der Einführung unbegrenzter Urlaubstage.
Seit dem ersten Mai 2023 wird dieser Prozess von allen Mitarbeitenden zur Diskussion und Festlegung von großen und kleinen Entscheidungen genutzt. Durch diesen Prozess erfolgt eine Demokratisierung der Unternehmensentwicklung. Jeder Mensch im Unternehmen kann Entscheidungen initiieren und alle Entscheidungsdiskussionen sind voll transparent. Damit bekommt das soziale System space22 ein Werkzeug an die Hand, mit dem es Missstände, Ineffizienzen oder andere Frustfaktoren selbstständig, selbstbewusst und selbstwirksam adressieren und beheben kann. Das ist ein unermesslicher Beitrag zur langfristigen Zufriedenheit aller Menschen in unserem Unternehmen.
Eine Spending Policy, die keine ist.
Im Zuge der Einführung von Kreditkarten für alle Mitarbeitenden habe ich mir viele Gedanken zum Thema Spending Policy gemacht. Wie kann eine Spending Policy aussehen, die zu uns passt? Dabei war eine Erkenntnis relativ schnell ziemlich klar: Eine klassische Spending Policy ist nicht das, was wir wollen. Denn Richtlinien führen immer dazu, dass Menschen nicht mehr eigenverantwortlich entscheiden, sondern die Verantwortung an die Richtlinie abgeben. Und eine Richtlinie passt nie richtig, gerade, wenn es um Hotels und Reisemittel geht. Was wir eigentlich wollen ist, dass alle Menschen in space22 eigenverantwortlich mit dem Geld umgehen, Kaufentscheidung selbst abwägen und diese dann frei treffen.
Um das zu erreichen, haben wir eine Spending Policy eingeführt, die keine ist. Heruntergebrochen auf wenige Sätze lautet sie: Hier ist Deine Kreditkarte, sie hat ein Limit von 2000 EUR. Du darfst mit der Karte machen, was Du willst – ohne Konsequenzen. Sprich über jede Ausgabe, die Du tätigst. Es gibt aber auch einen detaillierten Artikel, Die Kreditkarte & Die Verantwortung, welcher das Modell im Detail erklärt.
Dieses Modell fahren wir jetzt seit über sechs Monaten und ich würde es als einen absoluten Erfolg bezeichnen. Aktuell geben die Spacies zusammen 700 bis 1000 EUR im Monat für Hardware, Bücher und Diverses aus, ohne Rückfragen oder schlechte Gefühle. Es ist wundervoll zu sehen, dass alle Menschen in space22 verantwortungsvoll, selbstbewusst und eigenmächtig mit unserem Geld agieren und dass sich das heute schon wie eine völlige Selbstverständlichkeit anfühlt.
Unbegrenzter Urlaub statt Erbsenzählen.
Das Thema des unbegrenzten Urlaubs ist seit einigen Jahren Gegenstand vieler Diskussionen in der Themenwelt des „New Work“. Häufigstes Argument gegen die Einführung unbegrenzter Urlaubstage ist der Verweis auf Statistiken, die belegen sollen, dass Menschen aus Pflichtbewusstsein bei solchen Regelungen tendenziell weniger Urlaub nehmen. Wir glauben nicht, dass die Limitierung der Urlaubstage ein ausschlaggebender Faktor bei der Entscheidung jedes Einzelnen für oder gegen Urlaub ist. Vielmehr ist die Kultur des Unternehmens der Kern. Nehmen Führungskräfte regelmäßig Urlaub? Werden Überstunden konsequent vermieden? Ist die Positionierung zu der höchsten Priorität von Gesundheit, Familie und Privatem von allen gelebt? Wenn diese Fragen in einem Unternehmen ganz klar mit JA zu beantworten sind, dann ist die Frage, ob Urlaubstage limitiert sind oder nicht irrelevant – davon sind wir überzeugt und deshalb haben wir auch gemeinsam die Entscheidung getroffen, limitierte Urlaubstage abzuschaffen.
Im Dezember wurde die Entscheidung beschlossen, daraufhin gab es neue Arbeitsverträge für alle mit dem folgenden Passus:
Der Mindesturlaub beträgt 20 Tage bei einer 5-Tage-Woche. Wir wollen mehr als diese Mindestbedingungen gewähren. Wir wollen, dass Du selbst entscheidest, wie viel Urlaub Du benötigst. Es gibt keine Obergrenze. Gegenseitiger Respekt und Vertrauen sind die Grundlage. Plane Deinen Urlaub eigenverantwortlich und nimm Rücksicht auf Deine Kollegen:innen. Stimme Dich bei der Festlegung des Urlaubs mit ihnen ab, damit nicht alle gleichzeitig weg sind und die Arbeitsabläufe funktionieren. Wir benötigen eine Basis, auf der zu übertragende oder abzugeltende Urlaubstage zu berechnen sind. Diese Basis ist dann der gesetzliche Mindesturlaub.
In der Rückschau dieses Jahres wird sich zeigen, wie sich das Verhalten jedes Einzelnen entwickelt hat. Wir alle haben kein Interesse daran, Urlaub zu minimieren. Vielmehr ist es uns wichtig, dass sich jeder Mensch in space22 so viel Zeit nimmt, wie er oder sie benötigt. Wir glauben daran, dass jede von uns eine mündige und freie Entscheidung für sich selbst treffen kann. Und unsere Regelung fühlt sich dahin gehend genau richtig an.
Wo geht die Reise 2024 hin?
Wir haben unser erstes Geschäftsjahr erfolgreich hinter uns gebracht. Wir haben einen großen Account aufgebaut und eine Belegschaft, die hinter der Idee von space22 steht. Diese Reise beabsichtigen wir fortzusetzen. Ganz konkret soll in der ersten Jahreshälfte ein weiterer großer Account entstehen, um unsere Einnahmen weiter zu diversifizieren. Da sind wir bereits im Gespräch mit einigen interessanten Unternehmen.
Des Weiteren soll dieses Jahr ganz im Zeichen der Produktentwicklung stehen. Wir planen den Aufbau eines Produktteams und die Entwicklung einer B2B-SaaS-Lösung im Bereich der Digitalisierung von Unternehmensprozessen. Langfristig möchten wir unsere Haupteinnahmequelle weg von “Time & Materials” entwickeln, denn die stundenbasierte Vergütung von Beratungs- und Entwicklungsleistungen ist zwar lukrativ, verursacht aber unterbewussten Stress und Druck in unserer Belegschaft.
Daher werden wir durch ein digitales Produkt eine Einnahmequelle aufbauen und uns damit eine Einkunftsquelle erschaffen, die ganz unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden funktioniert.
Überdies legen wir nun gemeinsam den Fokus auf Gender-Diversity. Wir wollen bis zum Ende des Jahres zu einem Unternehmen mit einer näherungsweise paritätischen Geschlechterverteilung wachsen, diesem so wichtigen Thema haben wir bis jetzt zu wenig Gewicht gegeben.
Ich bin unfassbar dankbar für diesen Weg und all die großen und kleinen Lerngeschenke am Wegesrand. Es hat sich eine Gruppe von ganz tollen Menschen gefunden, die alle an die Idee der Selbstbestimmung und des persönlichen Wachstums glauben und gemeinsam diesen Weg bestreiten.
Stay Mindful
Jakob