»Theorie der Selbstbestimmung«, so nennen Edward Deci und Richard Ryan Ihre Theorie, die sie 1985 in einer wegweisenden wissenschaftlichen Publikation veröffentlichten[1]. Seither beschäftigt die Psychologie diese Theorie, die in unzähligen Studien analysiert und validiert wurde. Im Jahre 2008 veröffentlichten beide Autoren eine Meta-Studie[2], welche verschiedene empirische Studien der letzten 20 Jahre zu dieser Theorie auf Gemeinsamkeiten hin analysiert.
Inhalt der »Theorie der Selbstbestimmung« sind im unter anderem die ganz konkreten Fragen, was Motivation eigentlich ist, warum sie Relevanz hat und wie Menschen Motivation finden können. Ich werde im Folgenden einen Blick auf die unterschiedlichen Inhalte werfen und sie im Kontext der Unternehmenskultur betrachten.
Wie unterscheidet sich Motivation?
Grundsätzlich unterscheidet die Motivationsforschung nach Deci und Ryan zwei unterschiedliche Arten von Motivation[2, S. 182]. Beide existieren in unser aller Leben, verursachen jedoch äußerst unterschiedliche Ergebnisse.
Die »Selbstbestimmte Motivation« (Autonomous Motivation) zeichnet sich durch die Antriebskraft von innen aus. Das kann ein fundamentaler innerer Antrieb, das Streben nach Werterfüllung oder die persönliche Identifikation mit einer Aktivität sein.
Auf der anderen Seite steht die »Kontrollierte Motivation« (Controlled Motivation) als Gegenentwurf mit einer externalisierten Antriebskraft. Das sind äußere direkte Einflüsse wie Belohnung oder Bestrafung und internalisierte Verhaltensweisen wie Scham, Anerkennung oder Selbstüberhöhung.
Die kontrollierte Motivation ist allgegenwärtig: zum Beispiel in der Lohnarbeit oder in der Schule. Beides sind Lebensbereiche, in denen typischerweise durch Belohnung (Gehalt, Anerkennung durch Andere) oder Androhung von Strafen (Kündigung, Klassenbucheintrag) eine Motivation erzeugt wird. Alle von Deci und Ryan analysierten Studien im Themenbereich der Motivationsarten sind sich einig: Diese Form der Motivation durch Druck funktioniert zwar, liefert aber in den allermeisten Fällen Ergebnisse, die weit unterhalb des eigentlichen Potenzials des kontrollierten Individuums liegen. Gleichzeitig ist sich die Forschung ebenfalls darin einig, dass Menschen, die langfristig kontrollierte Motivation erdulden müssen, weit weniger zufrieden sind und häufiger zu Krankheit neigen.
Betrachtet man hingegen Menschen, die aus selbstbestimmter Motivation handeln, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Die unterschiedlichen Studien sind sich auch hier einig: Aus selbstbestimmter Motivation entsteht oft ein tiefes Gefühl der Befriedigung, gleichzeitig sind die Leistungsbereitschaft und die produzierten Ergebnisse um Längen besser, als bei derselben Tätigkeit ausgeübt unter kontrollierter Motivation.
Zusammengefasst ist die Kernaussage, dass zwar beide Varianten der Motivation zu Ergebnissen führen, allerdings sind die langfristige Gesundheit des Individuums sowie die Qualität und Quantität der Ergebnisse signifikant besser unter der Selbstbestimmung.
Die psychologischen Grundbedürfnisse
Eine weitere zentrale These in dieser Theorie ist die Erkenntnis, dass die Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation eines Menschen maßgeblich davon abhängt, in welchem Maße die psychologischen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Dabei suggerieren die verschiedenen Studien, dass diese drei psychologischen Grundbedürfnisse (wie auch die physiologischen, etwa Hunger) kulturübergreifend identisch sind, und zwar: Kompetenz, Autonomie sowie soziale Eingebundenheit[2, S. 183].
Die Hypothese ist hier eine ganz klare: Nur wenn die (sowohl psychologischen als auch physiologischen) Grundbedürfnisse eines Menschen erfüllt sind, ist dieser zu Zufriedenheit und Leistungserbringung befähigt. Ähnlich wie es unmöglich ist, mit großem Hunger oder Kopfschmerzen konzentriert zu arbeiten, wirkt sich nach dem Research von Deci und Ryan eine mangelhafte Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse maßgeblich negativ auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines Menschen aus.
Aber was hat es nun mit diesen drei Grundbedürfnissen ganz konkret auf sich?
Die Kompetenz beschreibt das Gefühl, durch die Ausübung der eigenen Fähigkeiten effektiv auf das Umfeld einwirken zu können, insbesondere auf Aspekte, die das Individuum als wichtig erachtet.
Das Streben nach Autonomie beschreibt, dass Individuen stets auf der Suche nach einem Gefühl der Freiwilligkeit sind. Dieses Gefühl, freiwillig entscheiden zu können, beeinflusst maßgeblich die selbst wahrgenommene Autonomie.
In der sozialen Eingebundenheit steckt vorrangig der Wunsch, eine bedeutende Rolle in einer Gruppe von Menschen zu haben, die dem Individuum selbst wiederum etwas bedeutet.
Die verschiedenen, in unterschiedlichen Kulturkreisen und Sozialschichten über viele Jahre wiederholten Studien zu den psychologischen Grundbedürfnissen sind sich heute einig: Die drei beschriebenen Grundbedürfnisse stecken in leicht unterschiedlich intensiven Ausprägungen in jedem Menschen. Ihre Erfüllung ist faktisch eine Grundvoraussetzung zur langfristigen Gesundheit und Zufriedenheit eines Individuums.
Wie hängen Motivation und die Grundbedürfnisse zusammen?
Im Rahmen der Theorie der Selbstbestimmung gibt es einige weiterführende Hypothesen, von denen die der Kausalitätsorientierung aus meiner Sicht eine der relevantesten ist.[2, S. 183]
Grundsätzlich unterscheiden die Autoren in drei Orientierungsarten, die in jedem Menschen abhängig von den individuellen Lebensumständen unterschiedlich stark ausgeprägt sind: die selbstbestimmte, die kontrollierte und die unpersönliche Orientierung. Dabei sind die bis heute durchgeführten Studien eindeutig in der Beobachtung, dass sich ohne eine starke Ausprägung der selbstbestimmten Orientierung eine selbstbestimmte Motivation nicht entwickeln kann[3]. Damit sich diese selbstbestimmte Orientierung einstellen kann, müssen die beschriebenen psychologischen Grundbedürfnisse, insbesondere der Wunsch nach Autonomie, grundsätzlich erfüllt sein.
Was bedeutet das für mich als Führungskraft?
Die primäre Verantwortung einer Führungskraft sollte stets die Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden sein. Mit Blick auf die Theorie der Selbstbestimmung impliziert diese Verantwortung sehr konkrete Konsequenzen:
Die Tätigkeiten, die Verantwortlichkeiten und das Arbeitsumfeld eines jeden Menschen müssen so gestaltet werden, dass diese einen signifikanten Beitrag zur Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse leisten. Dabei sollte der primäre Fokus darauf liegen, jedem Individuum die maximal mögliche Autonomie zu gewähren. Gleichzeitig muss dabei sichergestellt werden, dass die Menschen jeweils in Bereichen arbeiten, in denen sie ihre individuellen Kompetenzen ausleben können. Nicht zuletzt muss der Arbeitsplatz darüber hinaus sicherstellen, dass die Menschen ein Gefühl der sozialen Zugehörigkeit entwickeln können.
Diese Anforderungen lesen sich fast schon trivial und offensichtlich – gleichzeitig steckt aber in den Studien hierzu eine fundamentale Schlussfolgerung: Ein Scheitern in der Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse macht Menschen unzufrieden und krank. Und ohne eine Erfüllung dieser Grundbedürfnisse wird sich niemals eine selbstbestimmte Motivation einstellen.
Abschließende Gedanken
Im Grunde sind die Studienergebnisse eindeutig, durch kontrollierte Motivation kann niemals Höchstleistungen entstehen. Gleichzeitig hängt die langfristige Gesundheit und Zufriedenheit jedes Menschen von der Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse ab.
Übersetzt bedeutet das für mich: Ich kann niemanden motivieren und ich kann niemanden glücklich machen. Aber ich kann ein Arbeitsumfeld schaffen, welches nicht nur die Gesundheit und Zufriedenheit langfristig ermöglicht, sondern vor allem ein fruchtbarer Boden ist, auf dem die so wichtige selbstbestimmte Motivation entstehen kann.
Meine ganz persönliche Reise beschäftigt sich gerade intensiv mit Strategien, wie Autonomie innerhalb der Belegschaft gefördert werden kann. Denn in der Autonomie jedes einzelnen steckt immenses Potenzial für den Menschen und für das gesamte Unternehmen. Über diese und weitere Fragen werde ich bald weiter schreiben.
Vielen Dank fürs Lesen, ich freue mich über Feedback,
Literaturverzeichnis
[1] Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic Motivation and Self-Determination in Human Behavior. doi:10.1007/978-1-4899-2271-7
[2] Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2008). Self-determination theory: A macrotheory of human motivation, development, and health. Canadian Psychology/Psychologie Canadienne, 49(3), 182–185. doi:10.1037/a0012801
[3] Hagger, M. S., & Hamilton, K. (2020). General causality orientations in self-determination theory: Meta-analysis and test of a process model. European Journal of Personality, 35(5), 710–735. doi:10.1177/0890207020962330