Vor einiger Zeit habe ich das Buch „It doesn’t have to be crazy at work“[1] gelesen. Das Buch an sich ist eine echte Empfehlung. Es beinhaltet einige wirklich gute Denkanstöße für Unternehmer:innen und Führungskräfte. Besonders erwähnenswert ist ein Artikel von Jean-Louis Gassée, dem ehemaligen Chef von Apple Frankreich, auf den mich das Buch aufmerksam gemacht hat.[1, S. 179]
Die zwei Münzen
Im Kern steckt eine einfache Aussage: Wenn Du mit der Beschwerde eines Kunden konfrontiert bist, liegen zwei metaphorische Münzen zwischen Dir und dem Kunden. Auf der einen steht „Das ist eine völlige Kleinigkeit“ und auf der anderen „Das ist eine absolute Katastrophe“.[2]
Egal für welche der beiden Münzen Du Dich bei Deiner Antwort auf die Beschwerde entscheidest, der Kunde wird unvermeidlich die verbleibende Münze nehmen.
Stellen wir uns ein konkretes Beispiel vor: Ein Gast kommt an die Hotel-Rezeption, weil sie die vorherige Nacht, aufgrund der Lautstärke im Zimmer, schlecht geschlafen hat.
Ergreifst Du nun die erste Münze und reagierst mit teilnahmsloser Indifferenz oder einer Kommentierung in Richtung „Schade, da können wir auch nichts machen“, wird der Kunde unvermeidlich die andere Münze wählen und die schlechte Nacht sowie den unterirdischen Service zu einer absoluten Katastrophe machen. Eine negative Bewertung, schlechte Nachrede und ein wiederkehrender Gast weniger wird die unvermeidliche Konsequenz sein.
Entscheidest Du Dich hingegen für die andere Münze, verläuft die Situation komplett anders. Eine Reaktion wie „Es tut mir wirklich leid, dass es in Ihrem Zimmer zu laut war. Lassen Sie mich direkt schauen, ob ein anderes Zimmer für Sie frei ist. Gerne upgraden wir Sie unentgeltlich auf eine höhere Zimmerklasse. Alternativ kann ich ihnen die Kosten des Aufenthalts erstatten.“ lässt dem Gegenüber keine andere Wahl, als die verbleibende Münze zu wählen. Mit großer Sicherheit wird der Gast relativieren und sich für das Entgegenkommen bedanken. Für den Preis der Opportunitätskosten eines Zimmer-Upgrades entsteht so idealerweise ein wiederkehrender und zufriedener Gast.
Die Metapher der beiden Münzen im Umgang mit Kunden, Gästen oder Klienten ist der zentrale Aspekt des Artikels. Mit mir hat sie sofort resoniert, da ich mir das Bild dieser beiden Münzen sehr gut vorstellen kann. Gleichzeitig steckt dahinter eine tiefere Erkenntnis, die es sich lohnt zu betrachten – nicht zuletzt, weil sie sich mit meiner gelebten Praxis der letzten Jahre im Umgang mit Menschen deckt.
Die Empathie hinter der Metapher
Ich sehe in der Idee der Münzen zwei Aspekte, die ich für mich generalisiert habe. Zum einen steht für mich hinter den beiden Münzen das zutiefst menschliche Bedürfnis, gehört und ernst genommen zu werden. Alle Menschen wollen in Ihren Belangen ernst genommen, also gehört werden. Die Wahl der „Katastrophen“-Münze tut genau das, indem die Beschwerde extrem ernst genommen wird. Zum anderen hat diese Metapher aus meiner Sicht gar nichts spezifisch mit Kundenservice zu tun. Viel mehr sollte sie als Analogie für jeden Umgang mit anderen Menschen dienen.
Empathie im Alltag
Die Handlungsmaxime, die ich für mich entwickelt habe, geht genau in diese Richtung:
Wenn mir jemand ein Anliegen schildert, welches diese Person belastet, nehme ich es grundsätzlich absolut ernst.
Ganz unabhängig davon, wie ich das Anliegen persönlich bewerten würde. Die wahrgenommene Realität jedes Menschen ist in erster Linie real.
Diese innere Haltung, sofern sie aufrichtig gemeint ist, spürt Dein Gegenüber Mensch sofort. Gleichzeitig setzt die Haltung den richtigen Fokus, indem sie zunächst anerkennt, dass ein wahrgenommenes Problem existiert. Das ist eine großartige Grundlage, um zur Analyse der Herausforderung und potenziellen Lösungsansätzen überzugehen.
Stay Mindful
Jakob
Literaturverzeichnis
[1] Jason Fried, David Heinemeier Hansson. „It Doesn't Have to Be Crazy at Work“. (2018). Harper Business
[2] Jean-Louis Gassée. „United: Broken Culture“. 17. April 2017. Monday Note. https://mondaynote.com/united-broken-culture-6b35267c8a10