Nach wie vor ist in den Köpfen der meisten Menschen ein sehr klassisches Bild hinsichtlich der Motivation von Menschen: Belohnung und Bestrafung – so kann ich mit einer Belohnung ein gewünschtes Verhalten in anderen forcieren, und mit einer Bestrafung ein unerwünschtes Verhalten in anderen vermeiden. Dass dieses Bild in keiner Weise der Realität entspricht, kann man im vergangenen Artikel zur »Theorie der Selbstbestimmung« nachlesen.

Unabhängig davon ist unser heutiges Verständnis von Kompensation in Unternehmen nach wie vor maßgeblich von dieser alten Perspektive auf die Motivation geprägt: Hohe Gehälter und Bonuszahlung sind das Mittel der Wahl, mit dem Motivation, Fleiß oder Innovation honoriert wird. Zeitgleich hängt am Einsatz dieser Mittel immer die Erwartung, dass die belohnte Leistung auch weiterhin erbracht wird.

Aus meiner Sicht ist diese Perspektive auf Gehalt für keinen der Beteiligten, also weder den Menschen im Unternehmen, noch den Arbeitgebern, sinnstiftend und nachhaltig. Unternehmen investieren inflationäre Mengen von Geld in Gehälter und Boni und erreichen damit nahezu nichts, oftmals sogar das Gegenteil vom erwünschten Ziel.

Warum hohe Gehälter keine Triebfeder sind

Im Jahre 2009 haben vier amerikanische Forschende eine für damalige Verhältnisse bahnbrechende Studie unter dem übersetzten Titel »Hohe Einsätze und schwere Fehler« veröffentlicht[1]. Die Kernaussage dieser empirischen Studie lautet:

„Je höher der monetäre Anreiz bei kognitiven Tätigkeiten, desto schlechter wird das erreichte Ergebnis.“[1, S. 467]

Konkret haben die Forschenden zu der Auswirkung der Belohnung zwei interessante Experimente gemacht, um zu dieser unerwarteten Aussage zu kommen.

Das erste Experiment in Indien

Bei diesem Versuch sollten die Probanden unterschiedliche Aufgaben mit verschiedenen Schwerpunkten lösen. Einige der Aufgaben forderten kognitive Fähigkeiten (unter anderem: Zahlenfolgen merken, Puzzle lösen, Zahlen addieren), andere physische Fähigkeiten (unter anderem: Bälle-Dart, Kugel-Labyrinth).

Der Rahmen der Aufgaben war dabei jedes Mal identisch: Die teilnehmende Person muss sich hintereinander sechs Aufgaben stellen. Sie erhält für jede der Aufgaben, in der sie das „perfekte Ziel“ erreicht, den Höchstbetrag als Belohnung. Für das Erreichen des „guten Ziels“ erhält sie die Hälfte des Höchstbetrages und keinerlei Belohnung, sofern sie unterhalb des „guten Ziels“ liegt. Die jeweiligen Schwellenwerte für „perfekt“ und „gut“ legte die Forschungsgruppe anhand einiger Pretest-Experimente mit Studierenden fest.

Jede teilnehmende Person wird zufällig in eine von drei Gruppen eingeteilt. In Gruppe A beträgt der Höchstbetrag der Belohnung 400 Rupie, in Gruppe B beträgt der Höchstbetrag 40 Rupie und in Gruppe C liegt der Höchstbetrag bei 4 Rupie. Im Vergleich dazu muss man sehen, dass ein durchschnittliches Monatsgehalt in der Region dieser Experimente zu der Zeit bei unter 500 Rupie lag. Damit hätten Probanden, welche zufällig Gruppe A zugeordnet wurden, bei perfektem Punktestand in allen sechs Aufgaben die Chance auf eine Belohnung in Höhe von fast sechs Monatsgehältern. Also ein signifikanter Gewinn.

Die Durchführung der Studie mit fast 90 Erwachsenen brachte ein unfassbar spannendes Ergebnis zutage. Vergleicht man die Ergebnisse der Teilnehmenden aus Gruppe B und Gruppe C, dann fällt kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Ergebnissen auf. In beiden Gruppen erreichte etwa dieselbe Anzahl von Personen jeweils „perfekte“ oder „gute“ Ergebnisse. Obwohl sich die möglichen Belohnungen um einen Faktor von zehn zwischen beiden Gruppen unterscheiden, hatte das keinerlei Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit. Das legt erst mal nahe, dass die erbrachte Leistung eines Individuums nicht mit konkreten monetären Anreizen korreliert.

Vergleicht man nun die Leistungen der Probanden aus Gruppe A mit allen anderen, stellt sich heraus, dass diese durchweg in allen Aufgaben deutlich schlechter abschnitten als die Teilnehmenden aus B und C.

Das Ergebnis dieses ersten Experiments führt zu einer klaren Hypothese:

Unabhängig von der auszuübenden Tätigkeit gibt es bei der Höhe der Belohnung einen Schwellenwert, ab welchem sich diese in extremer Form negativ auf die Qualität des Ergebnisses auswirkt. Gleichzeitig haben Varianzen in der Belohnung unterhalb dieses Schwellenwertes keine signifikante Auswirkung auf das Ergebnis.

Das zweite Experiment in Amerika

Der erste Versuch brachte zwar ein klares Ergebnis, jedoch weist der Versuchsaufbau einige systematische Schwächen auf:

Zunächst gab es schlicht die Tatsache, dass die Teilnehmenden die gestellten Aufgaben vorher noch nie gesehen hatten. Ferner entstammten die Menschen einer Demografie aus ländlichen Regionen in Indien, dazu mit eher niedrigem Bildungsgrad. Beide Aspekte werfen die Frage der Vergleichbarkeit der Studie zur Wissensarbeit in Europa auf.

Überdies wies das Experiment ein Between-Subjects-Design auf. Das heißt, jedes Individuum war einer festen Gruppe zugeordnet und hatte keine Varianz in der Höhe der Belohnung zwischen den Aufgaben. Dadurch könnte das Ergebnis durch individuelle Faktoren (z. B. die subjektive Bewertung der Aufgabenschwierigkeit anhand der Höhe der Belohnung, oder ähnliches) weiter verzerrt worden sein.

Abschließend war das Gesamtergebnis des Experiments überraschend. Trotz sehr unterschiedlicher Arten von Aufgaben, die jeweils andere Fähigkeiten vorausgesetzt haben, war der Effekt konsistent in allen Aufgaben und in vergleichbarer Intensität messbar. Das war nicht die Erwartung der Forschenden.

Angesichts dessen wurde ein neues Experiment als Kontrolle des Ersten entwickelt und mit 24 Studierenden des MIT durchgeführt. In diesem Experiment gab es zwei Aufgaben:

Im Rahmen der ersten Aufgabe sollte die teilnehmende Person innerhalb von vier Minuten die beiden Tasten »v« und »n« alternierend drücken, und zwar so oft wie möglich. Eine Aufgabe, die tatsächlich vollständig auf physischer Leistung basiert und keine relevante kognitive Komponente aufweist.

Die zweite Aufgabe war eine rein kognitive Herausforderung. Der Person werden zwölf Zahlen (mit zwei Nachkommastellen) in einer Matrix angeordnet gezeigt, diese muss dann die beiden Zahlen identifizieren, deren Summe zehn beträgt. Insgesamt gab es zwanzig dieser Matrizen, die nacheinander präsentiert wurden. Auch hier galt es, innerhalb von vier Minuten möglichst viele der Matrizen zu lösen. Sowohl das Drücken von Tasten als auch das Addieren von Zahlen sind Tätigkeiten, die Studierende am MIT regelmäßig ausüben – diese Tatsache ist wichtig, um die Nebeneffekte, welche eine gänzlich unbekannte Aufgabe verursachen könnte, aus diesem Kontrollexperiment fernzuhalten.

Das Konzept der Incentivierung war leicht abgewandelt, aber im Kern dieselbe Logik. Beide Aufgaben können mit einem niedrigen oder einem hohen Anreiz durchgeführt werden.

Für die mathematische Aufgabe bedeutet das, eine Prämie in Höhe von $15 oder $150, sobald zehn Matrizen gelöst wurden. Darunter gab es nichts. Für jede weitere gelöste Matrix gab es weitere $1.5 oder $15. Diese Incentivierung lief bis zu einer Obergrenze von $30 oder $300.

Die Incentivierungen der Tasten-Aufgabe waren ähnlich gestaltet. Schafft die Person 600 Tastendrücke in der richtigen Reihenfolge, erhält sie $15 oder $150, liegt sie darunter, erhält sie nichts. Für jede weitere korrekte Taste erhält die Person noch mal $0.10 oder $1.

Der Ablauf der Aufgaben folgte einem Within-Subjects-Design. In der ersten Runde erhält jede teilnehmende Person erst die Additions-Aufgabe, danach die Tasten-Aufgabe. Beide jeweils für vier Minuten, jedoch mit der klaren Ansage, dass es sich um eine Übungsrunde ohne Incentivierung handelt. Dadurch wird das Individuum mit den Aufgaben warm.

In der zweiten Runde werden beide Aufgaben erneut gestellt, ebenfalls in dieser Reihenfolge. Der eine Teil der Probanden erhält hierzu den hohen monetären Anreiz in Aussicht gestellt, der andere Teil die niedrige. Nach Abschluss der beiden Aufgaben werden diese in einer abschließenden dritten Runde erneut gestellt, jetzt aber mit der gegenteiligen Incentivierung. Also alle, die in Runde zwei einen hohen Anreiz hatten, erhalten nun einen niedrigen – und umgekehrt. Damit hat jeder der Teilnehmenden sowohl unter einem hohen als auch unter einem niedrigen Anreiz teilgenommen.

Das Ergebnis dieses zweiten Experiments ist insofern spannend, als 82 % der Teilnehmenden unter hoch incentivierten Bedingungen bei der Tasten-Aufgabe deutlich besser abschnitten.

Gleichzeitig bestätigt das Experiment den drastischen Abfall der Leistungsfähigkeit bei kognitiven Tätigkeiten, sobald hoher monetäre Anreize ins Spiel kommen. In der Additions-Aufgabe haben 70 % der Teilnehmenden unter höher incentivierten Bedingungen deutlich schlechter abgeschnitten.

Das Ergebnis

Die Experimente dieser Studie zeigen ein ziemlich klares Bild. Erhöht man den monetären Anreiz für eine kognitive Tätigkeit über einen gewissen Schwellenwert, hat diese einen unverhältnismäßig hohen negativen Effekt auf die zu erbringende Leistung. Sogar deutlich schlechter im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne jegliche Belohnung.[1, S. 467f]

Es gibt verschiedene Ansätze, eine Erklärung dafür zu finden, zwei finde ich hier erwähnenswert. Eine mögliche Theorie könnte der Verlust des Fokus auf die auszuübende Tätigkeit sein. Durch die bei exzellenter Leistung zu erwartende Belohnung konzentriert sich das Individuum gedanklich auf diese, statt im Fluss und der Konzentration auf die Aufgabe zu bleiben.[1, S. 453] Insbesondere den ungleich größeren Einfluss auf kognitive Arbeit würde diese Theorie erklären.

Eine weitere Theorie kommt aus der Feder von Deci, Co-Autor der »Theorie der Selbstbestimmung«. Dieser hat Studien zur Auswirkung von monetären Anreizen auf die Ausübung intrinsisch motivierter Tätigkeiten durchgeführt. Dabei konnte er klar aufzeigen, dass die Einführung einer signifikanten monetären Incentivierung durchgehend dazu führte, dass Menschen ihre vorher existierende intrinsische Motivation schlagartig und nachhaltig verloren.[2, S. 114]

Beide Erklärungsansätze deuten in dieselbe Richtung: zu viel Geld für eine Tätigkeit zu erhalten, zerstört die intrinsische Motivation und hat dadurch einen signifikanten negativen Effekt auf Qualität des Arbeitsergebnisses.

Was bedeutet das für Gehälter

Welche Verantwortung hat ein Unternehmen gegenüber den Menschen, die darin arbeiten? Diese Frage beschäftigt mich schon lange. Schaut man sich unsere Leben an, verbringen die meisten Menschen eine signifikante Menge ihrer Lebenszeit mit Erwerbstätigkeit in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen. Jedes Unternehmen, dass diese Lebenszeit der Angestellten zugesprochen bekommt, muss aus meiner Sicht eine angemessene Honorierung dessen garantieren. Für mich geht das über Geld hinaus. Viel mehr interpretiere ich diese Verantwortung als Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in meinem Unternehmen dazu in der Lage ist, ein sorgenfreies Leben zu führen – soweit ich darauf Einfluss nehmen kann.

Die Studie legt nahe, dass es ein individuelles optimales Gehaltsgefüge gibt, in der ein Mensch das volle Potenzial ausschöpfen kann. Überschreitet die Entlohnung einen gewissen Schwellenwert, den Grenznutzen, stellt sich ein negativer Effekt auf das Potenzial ein.

Wie in einem der vorherigen Artikel zum Thema der »(De)motivation« bereits angeschnitten und in der Theorie der Selbstbestimmung begründet, können Menschen nicht extern und kontrolliert zu Exzellenz gelangen. Nur der innerste Antrieb schafft wirkliche Zufriedenheit und nachhaltigen Wert. Daher nutzt eine übermäßige Bezahlung weder den Menschen noch dem Unternehmen. Dadurch droht dem Menschen, die intrinsische Motivation zu verlieren. Und das Unternehmen investiert große Summen, die im besten Fall keinen und im schlimmsten Fall einen negativen Effekt haben.

Angesichts dessen versuche ich das Thema Gehalt größer zu denken. Letztlich sollte das Bestreben jedes Arbeitgebers sein, den Menschen im Unternehmen ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Dazu gehört eine faire und angemessene Bezahlung. Überdies kann das aber auch vieles anderes sein, dass die Lebensrealitäten unter Umständen deutlich stärker beeinflusst als mehr Geld: ein persönlicher privater Coach, kostenfreier Zugang zu Bildung, Unterstützung in der Organisation von Kinderbetreuung, Bezahlung des Jobrads, persönliche private Steuer- oder Vermögensberatung – und das sind nur eine Handvoll Beispiele, die mir gerade aus dem Stegreif eingefallen sind.

Diese nicht monetären Leistungen haben aus meiner Sicht und Erfahrung einige große Vorteile gegenüber Geld. Zum einen helfen sie den Mitarbeitenden bei ganz konkreten Herausforderungen im Lebensalltag. Mir helfen Sie dabei, dass ich mehr Zeit mit meiner Familie und mir selbst verbringen darf und weniger Zeit mit Themen, die belasten. Gleichzeitig drücken solche Leistungen eine andere Form der Wertschätzung aus. Sie kommunizieren ganz klar: 

“Die Zufriedenheit der Menschen im Unternehmen ist zentral.”

Und abschließend haben alle der genannten Unterstützungen einen echten Steuervorteil für den Arbeitnehmer. Da die zusätzliche Einkommensteuer wegfällt oder durch Pauschalversteuerung ersetzt wird, landet einiges mehr von jedem weiteren investierten Euro bei den Menschen im Unternehmen.

In den kommenden Essays werde ich mich intensiver mit der Frage beschäftigen, wie ein Kompensationspaket aussehen kann, dass den Menschen einen wahren Mehrwert, Wertschätzung für erbrachte Leistungen und Ruhe im eigenen Leben ermöglicht.

Vielen Dank für das aufmerksame Lesen, ich freue mich aufs nächste Mal.

Stay Mindful,

Jakob

Signatur von Jakob Holderbaum

Literaturverzeichnis

[1] ARIELY, D., GNEEZY, U., LOEWENSTEIN, G., & MAZAR, N. (2009). Large Stakes and Big Mistakes. Review of Economic Studies, 76(2), 451–469. doi:10.1111/j.1467-937x.2009.00534.x

[2] Deci, E. L. (1971). Effects of externally mediated rewards on intrinsic motivation. Journal of Personality and Social Psychology, 18(1), 105–115. doi:10.1037/h0030644

Eine besondere Erwähnung verdient Alexandra Elbakyan für ihre Bemühungen, Millionen von Menschen, darunter auch mir, den Zugang zu Wissen zu ermöglichen.