Der Aufbau eines Unternehmens, in dem Menschen selbstständig, selbstbewusst und selbstwirksam handeln und Verantwortungen übernehmen können, ist eine vielschichtige Herausforderung. Ich dachte zu Beginn, die größte Herausforderung wäre eine Operative: Wie schaffe ich Strukturen und Prozesse, die Freiräume eröffnen und Entscheidungen in die Hände der Menschen legen, um die es geht. Heute weiß ich, diese Herausforderung ist der einfache Teil gewesen. Der Schwierige sind die Hierarchien und die gelernten Dynamiken in unseren Köpfen.

Viele Menschen, die in Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, werden kontinuierlich in einer Art der Entmündigung sozialisiert. Privat gründen Menschen Familien, sie kaufen Häuser, investieren in Altersvorsorge und treffen auch sonst große Entscheidungen mit immenser Verantwortung. Gleichzeitig muss im Kontext der Anstellung oft schon für die Anschaffung einer Tastatur ein Beschaffungsantrag gestellt werden. In einer direkten Gegenüberstellung wirkt diese Diskrepanz grotesk.

Auf der anderen Seite sind die meisten Unternehmer, wie ich auch, zwangsweise in eine Selbstwirksamkeit gezwungen. Wenn Du als Freiberufler tätig bist, kümmert sich erst einmal niemand um Dich. Alle Verantwortungen, die mit der selbstständigen Arbeit einhergehen, liegen bei Dir und ein Problem kann nur überwunden werden, wenn Du tätig wirst. Oftmals sind es diese Menschen, die ein Unternehmen aufbauen. Hier wird die große Herausforderung im partizipatorischen Aufbau eines Unternehmens eigentlich erst richtig klar:

Egal, welche Entscheidungsstruktur dem Unternehmen zugrunde liegt, ohne Reflexion und Achtsamkeit wird sich eine Hierarchie der Praxis ergeben: Die Gründerin sieht von Anfang an viele Herausforderungen und Probleme, stürzt sich dann auch direkt auf die Umsetzung der Lösungen. Die Angestellten sind noch in der Sozialisierung der jahrelangen Arbeit in klassischen Unternehmen gefangen und halten sich eher zurück, die Freiheiten mit Leben zu befüllen.

Letztlich projizieren wir somit, ganz unabhängig von der zugrundeliegenden Struktur unserer Unternehmen, die gelernten Hierarchien und reproduzieren so unterbewusst genau das, was wir ändern wollten.

Der allgemeine Lösungsansatz

Grundsätzlich ist die Lösung klar: Verantwortung muss neu verteilt werden. Um das zu erreichen, müssen Menschen, die vorher weniger Verantwortung hatten, mehr bekommen. Und Menschen, die vorher mehr hatten, müssen nun weniger haben.

Aus meiner Sicht gibt es hier aber nur eine Art von Weg, denn Menschen können Verantwortung nicht zugesprochen bekommen. Sie müssen sich die Verantwortung aus eigener, intrinsischer Motivation nehmen, nur so kann sie nachhaltig dort verweilen.

Um diesen Weg möglich zu machen, bedarf es mehrerer Aspekte:

Zum einen muss eine Struktur geschaffen werden, in der Verantwortung natürlich gelebt werden kann. Beispielsweise durch konsensuelle Entscheidungsfindung oder andere Formate. Das ist das Fundament, auf dem alles fußt.

Zum anderen müssen sich Menschen, die es gewohnt sind, Verantwortung anzunehmen (typischerweise Führungskräfte und Unternehmensgründerinnen) ganz bewusst zurücknehmen. Das bedeutet hauptsächlich: Imperfektion aushalten. Dadurch entsteht auf dem Fundament ein Raum, in dem alle wachsen können.

Und abschließend bedarf es der Entwicklung von Menschen. Die Angestellten im Unternehmen benötigen Begleitung und Coaching, um zu lernen, Probleme zu erkennen und Initiative zu ergreifen, sodass sich Dinge ändern können. Und dann beginnt sich der Raum zu füllen. Langsam, aber sehr nachhaltig.

Daher beschäftige ich mich aktuell vorrangig mit Konzepten, die auf Ermächtigung zur Selbstwirksamkeit jedes Einzelnen abzielen.

Eine konkrete Umsetzung

Die Firmen-Kreditkarte von space22 ist eines dieser ganz konkret umgesetzten Konzepte. Früh haben wir uns die Frage gestellt, wie ein Regularium um die Firmen-Kreditkarte aussehen kann, welches den Menschen Freiheit gewährt und eigenverantwortliches Handeln langfristig beflügelt.

Klassische Unternehmen arbeiten häufig mit einem (aus Angst getriebenen) Freigabe-Ansatz in Kombination mit einer Kostenrichtlinie. Dieser Ansatz hat zwei fundamentale Schwachstellen:

Kostenrichtlinien sind immer ein unvollständiges Regelwerk. Sie stehen oft im Weg und für den Fall, dass diese anwendbar sind, verhindern sie letztlich, dass sich die Menschen mit der Verhältnismäßigkeit ihrer Ausgaben aktiv auseinandersetzen.

Freigabeprozesse durch Vorgesetzte setzen dem Ganzen noch mal eine Schippe darauf. Statt Eigenverantwortung und Vertrauen zu schenken, zwingt man die Menschen in einen Prozess, der jede Autonomie in der Entscheidungsfindung aberkennt.

So wird allen die Autonomie aberkannt und Einschränkungen auferlegt, aus einer hypothetischen Angst, dass durch einen einzelnen zu viel Geld ausgegeben werden könnte.

Gleichzeitig perpetuiert ein Regelwerk auch die Dynamik, aus der wir eigentlich hinaus wollen. Dadurch, dass es ein Dokument gibt, in dem steht, welche Ausgaben tragbar sind und welche nicht, wird Verantwortung an dieses Dokument und dessen Regeln abgegeben – ein proaktives und kritisches Auseinandersetzen mit Kosten und Wert findet gar nicht erst statt. Und jede Kreativität in diesem Bereich erstickt im Keim.

Wir möchten das von der anderen Saite aufziehen. Denn im Zentrum steht das Vertrauen in jeden Menschen, die eigenen Bedürfnisse am besten zu kennen und darauf aufbauend, bedachte Kaufentscheidungen zu treffen. So wie wir alle das in unserem Leben auch tun.

Das Regelwerk zur Karte

Eigenverantwortung und Eigeninitiative können nur aufblühen, wenn alle Individuen die Sicherheit haben, dass etwaige Fehler als Wachstumsimpuls nicht nur geduldet, sondern antizipiert und gewünscht werden. Dazu haben wir ein Sicherheitsnetz etabliert. Die Fähigkeit zur Bewertung, ob Ausgaben angemessen und verhältnismäßig sind, kann nur durch die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema entstehen. Dazu haben wir einen Feedback-Ansatz.

Und damit eine Auseinandersetzung mit dem Thema geschieht, müssen die Karten durch die Mitarbeitenden regelmäßig benutzt werden. Dabei gilt:

Jeder Mensch in space22 bekommt eine eigene Firmen-Kreditkarte. Rahmen und Höhe aller Ausgaben entscheidet jede Person im Unternehmen eigenverantwortlich. Das langfristige Ziel soll sein, dass sich jede und jeder ermächtigt fühlt, die Angemessenheit von Ausgaben eigenverantwortlich zu bewerten.

Die Ansage, die jeder zu der Karte bekommt, ist hier ganz klar: Wir möchten, dass Du regelmäßig Geld ausgibst!

Das Sicherheitsnetz

Unsere Mastercards kommen mit einem Standard-Monatslimit von 2.000 EUR. Dieses kann bei Bedarf jederzeit erhöht werden.

Durch das initiale Limit ergibt sich ein maximaler Rahmen, in dem Fehleinschätzungen bei der eigenverantwortlichen Nutzung liegen können. Dieser Rahmen ist für unsere aktuelle wirtschaftliche Situation kein signifikantes Risiko.

Zusätzlich gibt es eine gemeinsame Übereinkunft, dass niemand für eine falsche Einschätzung schief angesehen wird oder gar mit Konsequenzen rechnen muss.

Das nimmt eine gehörige Portion der Angst davor, frei über die eigenen Ausgaben zu entscheiden. Jeder Mensch im Unternehmen weiß, dass es durch eine freizügige Nutzung der Karte weder ein Risiko gibt, dem Unternehmen und dessen Gehaltszahlungen zu schaden, noch in persönliche Missgunst zu fallen.

Der Feedback-Ansatz

Aus meiner Sicht ist dies die größte Herausforderung für uns. Wie schaffen wir es, dass alle im Unternehmen nicht nur regelmäßig ihre Kreditkarte benutzen, sondern auch zwanglos darüber sprechen? Nur durch dieses Sprechen kann auch das langfristige Gefühl jedes Einzelnen für Geld im Kontext eines Unternehmens wie space22 entstehen.

Daher versuchen wir aktiv, Ausgaben und deren Höhe zu einem wiederkehrenden Gesprächsthema zu machen. Dabei kann man bereits jetzt, nach weniger als sechs Monaten dieser Regelung, feststellen, dass die Konversationen über Geld und Geldbeträge etwas von ihrer Krampfhaftigkeit verloren haben und dadurch häufiger stattfinden. Offen und achtsam über Geld zu sprechen, wird dadurch ein Teil der grundlegenden Kultur von space22.

Ein Instrument dafür ist die Ausgabenliste. Alle Menschen im Unternehmen sind dazu angehalten, ihre eigenverantwortlich getätigten Ausgaben in einer Liste im internen Notion festzuhalten (Reisekosten wie Hotels, Bahnfahrten und Mietwagen ausgenommen). Dort sind in den vier Monaten, seit es diese Regelung gibt, bereits 40 Ausgaben: vom Fachbuch, über die Bahncard bis zur Hardware für die tägliche Arbeit. Und jede dieser Ausgaben ist ohne Rückversicherung, Freigabeprozesse oder Führungsentscheidungen eigenverantwortlich getroffen worden.

Damit haben wir eine grundlegende Struktur geschaffen, in der Konversationen über Ausgaben und deren Verhältnismäßigkeit stattfinden können. Ein Risiko entsteht jedoch, welches sich bis jetzt aber bisher nicht konkret manifestiert hat: Durch den einsehbaren Prozess könnten einzelne sich eingeschüchtert fühlen, größere Ausgaben zu tätigen. Gerade wenn es um Ergonomie am Arbeitsplatz oder den persönlichen Reisekomfort geht, ist dieses Risiko nicht unerheblich.

Um diesem entgegenzuwirken, habe ich mir als Geschäftsführer zwei konkrete Maßnahmen überlegt:

Zum einen ist auch meine Kreditkarte transparent. Und somit kann ich durch die Freizügigkeit der Benutzung meiner Karte ein starkes Signal senden.

Zum anderen habe ich das Thema sehr explizit mit in meine regelmäßigen 1:1 Catch-ups mit der Belegschaft genommen. Dort stelle ich gelegentlich, jedem ganz persönlich und im vertrauten Rahmen, die Frage, ob es aktuell Ausgaben gibt, vor der sich die Person scheut und wie zufrieden sie mit der Regelung ist.

Das vorläufige Ergebnis

Seit August 2023 lassen wir dieses Experiment nun laufen. Drückt man es in Zahlen aus, kann man sagen, dass 5 Menschen in viereinhalb Monaten über 40 Transaktionen 3.200 EUR ausgegeben haben. Drücken diese Metriken einen Erfolg oder einen Misserfolg aus, ist schwer zu deuten.

Für mich bedeuten sie zuerst einmal, dass fünf Personen eigenverantwortlich über 3.000 EUR in sich selbst und ihre Arbeit investiert haben – ohne um Erlaubnis zu fragen und in eigener Initiative. Und vor allem ohne eine einzige zusätzliche Stunde des administrativen Aufwandes durch Genehmigungen oder Ähnliches.

Das ist wirklich beachtlich. Ganz persönlich finde ich interessant, dass seit der Einführung die Nutzung der Karten relativ gleichförmig war. Ich hätte erwartet, dass nach anfänglicher Zögerlichkeit und mit dem sich entwickelnden Selbstbewusstsein die Ausgaben langsam “mutiger” werden. Diesen Effekt kann man nicht beobachten, von Anfang an war die Ausgabenhöhe relativ konstant.

Im nächsten Jahr werde ich persönliches Feedback zu dieser Regelung einsammeln, um auch hier ein noch besseres Bild zu erhalten. Insgesamt wirken allerdings alle ziemlich zufrieden, mit der gewonnenen bürokratielosen Freiheit und dem damit verbundenen Vertrauen, welches allen Mitarbeitenden geschenkt wird.

Auch muss ich noch erwähnen, dass uns ganz pragmatisch auf administrativer Ebene eine signifikante Menge an Arbeit erspart wird, die typischerweise mit Firmenkreditkarten einhergeht. Wir nutzen die Bank Qonto, deren App alle Mitarbeitenden an das Einscannen und Hochladen der Belege erinnert, was auch direkt mit der App sehr zuverlässig funktioniert. Und diese Belege werden dann nächtlich automatisch in die Buchhaltung übertragen.

Wie funktioniert die Firmen-Kreditkarte bei Deinem Arbeitgeber, und was gefällt Dir daran? Ich freue mich auf inspirierende Antworten.

Stay Mindful
Jakob

Signatur von Jakob Holderbaum